Vorbereitung der Gründung
Im Jahre 1988 stellte ich erste Überlegungen an, wie einer solch nachteiligen Entwicklung in unserer Stadt begegnet werden könnte. In Gesprächen mit vorhandenen sozialen Diensten, Vertretern der Stadt, der Kirchen und politischen Parteien wurde erörtert, welche Dienste in welchem Umfang angeboten werden können und welche Lücken vorhanden sind. Es wurde darüber diskutiert, ob die vorhandenen Dienste in der Lage und bereit sind, die Lücken zu schließen.
Erhebung soziales Dienstleistungsangebot im Jahr 1990
Im Verwaltungsraum Riedlingen ist eine Sozialstation vorhanden. Diese wird getragen von den Kirchen und politischen Gemeinden, sie übernimmt ausschließlich pflegerische Arbeiten. Bei der Sozialstation arbeiten nur hauptamtliche Pflegekräfte. Im Jahr 1990 wurden 320 Personen durch die Sozialstation betreut.
Unter der Trägerschaft der Kirchen arbeitet eine Nachbarschaftshilfe, die in freiwilliger Dienstleistung Betreuung im hauswirtschaftlichen Bereich übernimmt. Im Jahr 1990 wurden 1089 Arbeitsstunden geleistet. Die Nachbarschaftshilfe übernahm nur dann Aufgaben, wenn diese nicht von langer Dauer sind und nicht regelmäßig erbracht werden mussten. Eine Gewährleistung für die Erbringung der Leistung war nicht gegeben.
Das Rote Kreuz hat Essen auf Rädern als Tiefkühlkost angeboten. Dieses wurde einmal wöchentlich in die Wohnung gebracht. Der Empfänger muss seine Speisen täglich selbst zubereiten. Es wird außerdem ein Hausnotrufsystem angeboten, das gemietet werden kann.
Befragung
Im November 1990 führte ich eine Befragung bei den Vertretern dieser sozialen Dienste durchgeführt. Die Auswertung der Befragung ergab, dass für die damalige Situation gut funktionierende soziale Dienste vorhanden waren, einige in Zukunft wohl wichtige Bereiche allerdings nicht abgedeckt waren. Größere Lücken bestanden in der häuslichen Betreuung und Versorgung. Die vorhandene Nachbarschaftshilfe bot zwar solche Dienste an, sah sich allerdings nicht in der Lage, eine umfassende und garantierte Versorgung anzubieten. Gerade dies erschien aber in Zukunft wichtig.
Wegen des wachsenden Anteils älterer Menschen und der rückläufigen Zahl an Altenheimplätzen, mussten nach meiner Meinung Voraussetzungen geschaffen werden, um die Versorgung und Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen in ihrer eigenen Wohnung auf Dauer und in fast jeder Lebenslage zu gewährleisten. Ich war mir darüber im klaren, dass eine Finanzierung eines solchen Dienstes nach dem klassischen Muster über staatliche Mittel oder Sozialversicherung nicht möglich ist, sondern dass auch neue Wege der Finanzierung gefunden werden müssen.
Eine nur teilweise Bedarfsdeckung war vorhanden bei:
- Besorgungen und Einkäufe
- Besorgung der Wäsche
- Besucherdienste
- Vorübergehende Betreuung nach Krankenhausaufenthalten
- Bereitstellung von Kurzzeitpflegeplätzen
- Versorgung bei vorübergehender Erkrankung ohne stationären Krankenhausaufenthalt
Folgende Leistungen waren nicht angeboten:
- Wohnungs- und Hausreinigung - Tagespflegeplätze
- Versorgung mit warmem Essen - Fahrdienste
- Gartenarbeit - Häusliche Rehabilitation
- Winterdienst - Psychische Betreuung
- Handwerkliches Hilfsangebot - Sterbebegleitung
- Neutrales Beratungsangebot für Fragen des täglichen Lebens.
Bedarfsdeckung in der Zukunft
Die damals vorhandenen sozialen Dienste sahen keine Möglichkeit, den oben genannten zusätzlichen Bedarf zu decken. Deshalb wurde der Vorschlag aufgenommen, in Riedlingen eine Seniorengenossenschaft zu gründen, die die vorhandenen Lücken schließen sollte. Hauptaufgabe sollte sein, ein System des betreuten Wohnens im eigenen Heim oder in einer Wohnanlage zu schaffen. Dadurch sollte den Menschen die Möglichkeit geboten werden, auch bei Hilfsbedürftigkeit in der eigenen Wohnung bleiben zu können.
Im Staatsministerium des Landes Baden-Württemberg wurde zur gleichen Zeit an diesen Themen gearbeitet. Eine dort eingesetzte Arbeitsgruppe empfahl als Lösung die Einrichtung von Selbsthilfeorganisationen nach dem Genossenschaftsprinzip. In diese sollte sich jeder Bürger einbringen können. Auf diese Weise sollte eine Betreuung und Versorgung jedes einzelnen gesichert werden. Zur Erprobung dieser Idee wurden Modellversuche eingerichtet. Die in Gründungsvorbereitung stehende Seniorengenossenschaft Riedlingen hat sich um die Aufnahme in das Modellprogramm beworben, dem Antrag wurde stattgegeben, Riedlingen wurde Landesmodell.
Gründungskomitee - Aufgaben
Die Gründung der Seniorengenossenschaft wurde zuerst in einem sehr kleinen Kreis vorbesprochen. Geladen waren zu diesem Gespräch Personen, von denen zu erwarten war, dass sie dieser Idee aufgeschlossen gegenüberstehen und auch bereit waren, aktiv mitzuarbeiten. Mit dieser Gruppe wurde eine öffentliche Veranstaltung vorbereitet, zu der Bürger, Kommunalpolitiker, Kirchen und soziale Dienste eingeladen waren. In dieser Veranstaltung wurden allgemeine Informationen gegeben, Probleme angesprochen und mögliche Lösungen aufgezeigt. Diese formlos eingeladene Versammlung berief ein Gründungskomitee, das die Gründung vorbereitete.
Dem Gründungskomitee gehörten an:
Interessierte Bürger
Vertreter der vorhandenen sozialen Dienste
Vertreter der politischen Parteien
Vertreter der Kirchen
Erstellung eines Angebotskataloges
Mit den bestehenden sozialen Diensten wurde vereinbart, dass durch die Seniorengenossenschaft keine Konkurrenz zu bestehenden Einrichtungen entstehen soll. Auf der Basis der Bestandserhebung über Angebote der örtlich vorhandenen sozialen Dienste wurde eine Liste von nicht, oder nicht in vollem Umfang vorhandenen Leistungen zusammengestellt. Der endgültige Katalog der von der Seniorengenossenschaft anzubietenden Leistungen wurde dann im Einvernehmen mit den anderen sozialen Diensten erstellt.
Satzung
Es wurde ein Satzungsentwurf in enger Abstimmung mit den zuständigen Beamten des Vereinsregisters beim Amtsgericht und beim Finanzamt (wegen der angestrebten Anerkennung der Gemeinnützigkeit) erarbeitet. In der Satzung wurde neben den allgemein erforderlichen vereinsrechtlichen Bestimmungen festgelegt, dass erworbene Ansprüche in vollem Umfang beim Mitglied oder einem Rechtsnachfolger verbleiben.
Suche nach Bewerbern für Vorstandssitze
Bei der Suche nach Personen, die bereit waren, für den Vorstand zu kandidieren, versuchte ich ausgewogene Streuung über alle wichtigen Bereiche zu erreichen, natürlich unter Beachtung der fachlichen Kompetenz.
Gründungsversammlung
Das Gründungskomitee lud am 9. April 1991 zu einer öffentlichen Gründungsversammlung ein unter Vorgabe einer Tagesordnung. Zu dieser ersten Gründung einer Seniorengenossenschaft in Baden-Württemberg und auch im gesamten Bundesgebiet, erschienen ca. 120 Bürger der Stadt Riedlingen.
Mitarbeiter der Geschäftsstelle Seniorengenossenschaften beim Sozialministerium Stuttgart vertraten das Land. Zunächst wurden in dieser Versammlung die Ziele der zu gründenden Seniorengenossenschaft vorgetragen. Im Anschluss daran konnten sich Interessierte als Gründungsmitglieder in eine Liste eintragen. 111 Anwesende haben als Gründungsmitglied unterzeichnet. Der vorgelegte Satzungsentwurf wurde beraten, beschlossen und die Gründung vollzogen, anschließend wurde der Vorstand gewählt.